Besuch in der Eyüp Sultan Camii Moschee und bei Menschen der Hizmet-Bewegung in Nürnberg
Spätestens seit dem Putschversuch am 15. Juli vor einem Jahr stellt sich auch für die türkisch-stämmige Bevölkerung in Deutschland die Frage, welche Rolle die Politik Erdogans für sie spielt. Die Ausnahmesituation in der Türkei ist auch hier aus dem Ausland deutlich spürbar, wie es bei einem Treffen mit Menschen der Eyüp Sultan Camii Moschee und der Hizmet-Bewegung in Nürnberg deutlich wurde. Die Begegnung fand im Rahmen der Vorlesung „Einführung in den Islam“ durch Prof. Dr. Heike Walz statt und gab neue Impulse zum aktuellen muslimischen Leben in unserer Gesellschaft. Dabei ging es weniger um eine gesamtislamische Perspektive, wie es bei einem Abend der christlich-islamischen Dialogwochen des Begegnungszentrums Brücke-Köprü der Fall war (vgl. „Das 'christliche Abendland' versus 'die Muslime'“ im April 2017), sondern um ganz persönliche Erfahrungen der hier lebenden Türkinnen und Türken.
Zunächst besichtigten die Studierenden der Augustana-Hochschule die Eyüp Sultan Camii Moschee, welche die größte Moschee in Nürnberg ist. Die Gemeinde ist angegliedert an den DITIB-Verband (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V.) und empfängt jede Woche bis zu 1500 Menschen zum Freitagsgebet. Neben der großen Gebetshalle beherbergt die Moschee einen Friseurladen, ein Café, Räumlichkeiten für Islam-Unterricht und Integrationskurse, sowie ein eigenes muslimisches Bestattungsinstitut.
Der Dialogbeauftragte der Gemeinde, Yavuz Kizmaz, führte durch die Moschee und widmete sich anschließend den Fragen der Studierenden. Dabei wurde deutlich, dass sich ein Gespräch über die üblichen Führungsdetails der Moschee hinaus als schwierig erwies, wenn es beispielsweise um politische Themen, wie die Verbindung zwischen türkischem Staat und DITIB-Verband in muslimischen Gemeinden hier vor Ort, ging. Dem Vorwurf, dass viele Freitagsgebete in den Moscheen allein durch türkische Imame stattfänden, die politische Überzeugungen aus ihrer Heimat nach Deutschland transportieren, setzte Kizmaz entgegen, dass es einfach noch zu wenige theologische Ausbildungsstätten für Prediger in Deutschland gäbe. Es entstand der Eindruck, dass kritische Nachfragen zur türkischen Politik umgangen wurden. Pfarrer Dr. Thomas Amberg, Leiter der Brücke-Köprü, der uns bei dem Besuch begleitete, erklärte, dass sehr viele hier lebende Türkinnen und Türken von der Regierung Ankaras unter Druck gesetzt würden, die Überzeugungen Erdogans zu teilen. Die Spannung steige darüber hinaus, wenn der türkische Staat für das Gehalt aufkommt oder Familienmitglieder in der Türkei leben.
Auch türkischstämmige Menschen, die offen die Ansichten Erdogans ablehnen und die Ereignisse seit dem Putschversuch kritisch betrachten, spüren den Einfluss hier in Deutschland. Das gilt im Besonderen für solche, die dem Netzwerk des Predigers Fetullah Gülen angehören oder nahe stehen. Der mittlerweile in den USA lebende Prediger setzt sich seit den 1970er Jahren für einen säkularen Islam ein, der Bildung und Glaube eng miteinander verknüpft. Inzwischen haben sich auch in Deutschland viele Gülen-nahe Bildungseinrichtungen gegründet. Fetullah Gülen und die ihm folgende Hizmet-Bewegung werden von der türkischen Regierung für den Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich gemacht und als terroristische Organisation (FETÖ) in der Türkei verfolgt.
Im Anschluss an die Moschee-Besichtigung gab es die Gelegenheit, mit Menschen aus der Hizmet-Bewegung ins Gespräch zu kommen. Dazu gehörten zum Beispiel Herr und Frau Bektas, die den Vorsitz des Vereins IDIZEM (Interkulturelles Dialogzentrum e.V.) in Nürnberg inne haben, sowie muslimische Studierende, die zum Teil in den kontrovers diskutierten „Lichthäusern“ wohnen. Die Begegnung fand in der Mesale-Schule statt, die durch einzelne Personen mit der Hizmet-Bewegung verknüpft ist und als vom Staat anerkannter Verein neben der allgemeinen Schulausbildung interkulturelle und interreligiöse Arbeit leisten will. Schon zu Beginn des Gesprächs wurde deutlich, dass das Bekenntnis zu Fetullah Gülen auch in Deutschland zu Problemen und Ablehnung in der türkischen Gemeinschaft führt: Muslimische Gemeinden, die den Kurs Erdogans befürworten, verwehren Menschen aus der Hizmet-Bewegung den Moscheebesuch. Kinder müssen in eine andere Schule wechseln, weil die Eltern Angst vor Einschränkungen durch den türkischen Staat haben (der Anteil türkischer Schülerinnen und Schüler an der Mesale-Schule sank von 70% auf 30%). Es gibt Übergriffe auf Einrichtungen, die sich zum Gülen-Netzwerk bekennen. Die Polizei warnt einzelne Personen, dass eine Einreise in die Türkei zu einem Rückreiseverbot nach Deutschland und Terrorvorwürfen führen könnte. Thomas Amberg nennt dies eine „Kultur der Angst“, die in den letzten Jahren in der türkischen Gemeinschaft entstanden ist.
Die Problematik der Politik Erdogans wurde an diesem Abend durch die Erzählungen eines Geflüchteten aus Ankara auf sehr persönliche Weise eindrücklich. Der ehemalige Universitätsprofessor erfuhr schon vor dem Putschversuch staatliche Repressalien und musste an eine kleinere, unabhängige Hochschule wechseln, da er Korruption im türkischen Bildungssystem kritisierte. Als diese nach dem 15. Juli aufgrund von Terrorvorwürfen zerstört wurde, floh er zunächst aufs Land und dann nach Deutschland, um politisches Asyl zu beantragen. Selbst hier fürchtet er den Einfluss aus der Türkei und Übergriffe durch Erdogan-Anhänger und -Anhängerinnen und gibt sich deshalb nicht öffentlich in der türkischen Gemeinschaft zu erkennen. Für Außenstehende ist es einfach, die aktuelle Politik Erdogans zu verurteilen und den hier lebenden türkischen Menschen einen Vorwurf zu machen, ihn gewählt zu haben. Unabhängig von der persönlichen Überzeugung waren es jedoch sehr unterschiedliche und beeindruckende Begegnungen, die an diesem Tag stattfanden. Sie verdeutlichten den politischen Druck und die Spannung, unter der türkisch-stämmige, muslimische Menschen derzeit hier in Deutschland leben.
Erdmuth Meussling
Weitere Informationen:
Begegnungszentrum Brücke-Köprü Nürnberg
Schade, Anna Flora u. Dumont, Frida: Art. „'Baut Schulen, statt Moscheen!' Philosophie oder Strategie?“