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Aktuelles von der AHS

Wohin weht Kubas sozialistischer Geist -- bei scharfem Gegenwind?

Prof. Dr. Heike Walz nahm an der befreiungstheologischen Konferenz der „Zeitschrift für Lateinamerikanische Bibelinterpretation“ (RIBLA) in Kuba (24.-28. Juli 2017) teil und knüpfte Kontakte mit dem dortigen Evangelisch-Theologischen Seminar in Matanzas.

Kuba wurde Mitte September von dem bisher stärksten Wirbelsturm „Irma“ heimgesucht. Er zerstörte im Norden und Osten viele Häuser, beschädigte die Infrastruktur schwer, überschwemmte weite Landstriche und vernichtete Ernten. Die Regierung traf aufwändige Sicherheitsvorkehrungen, so dass dem Hurrikan keine Menschen zum Opfer fielen und nicht noch mehr Zerstörungen zu beklagen sind. Auch im Evangelisch-Theologischen Seminar in Matanzas (Seminario Evangélico de Teología de Matanzas) sind die Reparaturen und Aufräumarbeiten noch im Gange. Der Inselstaat Kuba kämpft im wahrsten Sinn des Wortes mit diesem scharfem Gegenwind, aber auch politisch und ökonomisch weht Kuba in den letzten Jahren neuer Wind um die Ohren.

Ende Juli, vor der Katastrophe des Wirbelsturms, nahm ich an der befreiungstheologischen Konferenz der „Zeitschrift für Lateinamerikanische Bibelinterpretation“ (Revista de Interpretación Bíblica Latinoamericana, kurz: RIBLA) teil. Die Fragen, die ich im Koffer hatte, kreisten um gesellschaftliche und religiöse Themen: Weht der Geist der sozialistischen Revolution in Kuba weiter – dem scharfen Gegenwind der Öffnung zur Marktwirtschaft zum Trotz? Wie stehen die Kirchen und Religionsgemeinschaften hierzu?

Mein Ziel war das Evangelisch-Theologische Seminar in Matanzas, das von der Presbyterianisch-Reformierten Kirche, der Episkopalen Kirche, den Baptisten und den Quäkern getragen wird. Matanzas liegt ungefähr hundertundzehn Kilometer von der Hauptstadt Havanna entfernt. Der pittoreske Campus mit seinen Palmen, Grünanlagen und roten Flamboyantbäumen ist auf einem Berg gelegen. Man hat von dort eine schöne Aussicht auf die Meeresbucht von Matanzas. Theologiestudierende aus unterschiedlichen Kirchen Kubas absolvieren hier den Bachelor, das Lizentiat oder den Master.

(Rektor Prof. Dr. Carlos Emilio Ham, Foto: H. Walz)

 

Prof. Dr. Carlos Emilio Ham, Rektor des Evangelisch-Theologischen Seminars, empfing die Gäste der 22. Konferenz der Biblisch-Lateinamerikanischen Zeitschrift (RIBLA) mit folgendem Grußwort: „Die Situation in Kuba und die religiösen Entwicklungen fordern dazu heraus, das befreiende Potential der Bibellektüre freizulegen, um solche Paradigmen und alternative Interpretationslinien herauszuarbeiten, die einen Gegenpol zum Fundamentalismus und zu pastoralen improvisierten Deutungen bieten.“

 

Konferenz der Biblisch-Lateinamerikanischen Zeitschrift (RIBLA)

Die Revista Bíblica Latinoamericana (RIBLA) ist mehr als eine renommierte spanischsprachige Zeitschrift für Bibelexegese in Lateinamerika und der Karibik. Sie steht für lateinamerikanische Befreiungstheologie in ökumenischem Horizont. Vierzig Bibelwissenschaftlerinnen und Exegeten aus Argentinien, Bolivien, Brasilien, Costa Rica, der Dominikanischen Republik, Ecuador, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Panama, Peru, El Salvador und Venezuela waren zur 22. Konferenz von RIBLA angereist. Kuba war zum ersten Mal der Tagungsort. Spannend war auch der Austausch über die Situation in den verschiedenen Ländern der Theologinnen und Theologen.

 

(Gruppenfoto Teilnehmer*innen RIBLA, SET Matanzas, Foto: H. Walz)

  

Ich kannte die Konferenzen von RIBLA aus meiner Zeit als Professorin für Systematische Theologie im I.U. ISEDET in Buenos Aires. Gemäß der Methodologie der Theologie der Befreiung (Sehen – Urteilen – Handeln) ist es in den Konferenzen der RIBLA üblich, im ersten Schritt eine gesellschaftliche und religiöse Analyse des Kontextes vorzunehmen (Sehen). Kubas gesellschaftliche und religiöse Situation rückte in den Fokus. Der zweite Schritt besteht aus der Exegese eines biblischen Buches (Urteilen). Dieses Mal war der Römerbrief der Studientext. Im dritten Schritt (Handeln) geht es jeweils um die Situation der lateinamerikaweiten sog. lectura popular, der Bibellektüre in Basisgruppen, sowie um die Konzeption neuer RIBLA-Hefte für die nächsten Jahre.

 

 1. Gesellschaftliche und religiöse Transformationen in Kuba

  

(Kunstwerk „Revolución“, Museo de la Revolución., Havanna, Foto: H. Walz)

 

Wie steht es um den sog. „revolutionären Prozess“ in Kuba? Wie verändern sich die religiösen Landschaften? Das waren die Fragen an kubanische Soziologen, Theologen und Religionswissenschaftlerinnen.

 

Unsicherheit in der Bevölkerung über die Öffnung zur Marktwirtschaft

Seit 2006 befindet sich Kuba in einem Prozess ökonomischer, politischer, rechtlicher und sozialer Reformen, was die Gesellschaft verändert hat. Seit 2011 spricht man von einer „Aktualisierung des sozialistischen Modells“. Die teilweise Öffnung für die Privatwirtschaft ist im Gange. Zudem kündigten die Regierungen der USA und Kuba am 17. Dezember 2014 eine Normalisierung ihrer diplomatischen Beziehungen an. Die politische Lage veränderte sich somit nochmals schlagartig. Es herrscht Unsicherheit in der Bevölkerung Kubas, so beschrieb der kubanische Soziologe Ariel Dacal die gesellschaftliche Situation auf der Konferenz. Wird die Öffnung zur kapitalistischen Marktwirtschaft die soziale Gerechtigkeit des Sozialismus gänzlich „verschlingen“? Wird der Sinn für kollektive Zusammenarbeit verschwinden?

 

Multireligiöser Dialog in Kuba

Auch die religiösen Landschaften haben sich verändert. Nach wie vor ist die Volksreligiosität in Kuba sehr von den sog. Religionen afrikanischer Herkunft geprägt, vor allem von der afrokubanischen Regla Ocha-Ifá (santería-babalao) der Yoruba aus Nigeria.

  

(Orishás, Casa África, Havanna, Foto: H. Walz) 

 

Beeindruckend ist das Wachstum religiöser Gemeinschaften auf Kuba. Neu hinzugekommen sind östliche Philosophien wie Sokka Gakai, Reiki, Yoga, Zen-Buddhismus sowie der Islam. In der Altstadt von Havanna beten sunnitische und schiitische Gläubige gemeinsam in der 2015 eröffneten Moschee Abdallah.

   

(Eingang und Vorhalle der Moschee Abdallah, Havanna, Foto: H. Walz)

 

Wie in Lateinamerika insgesamt kommt es durch US-amerikanische Missionsbewegungen zu einem enormen Wachstum charismatischer, pfingstlicher und neopentekostaler Gruppen. Die „historischen“ protestantischen Kirchen – wie die Presbyterianische oder die Baptistische – stehen in ambivalentem Verhältnis zu ihnen. Sie werfen ihnen Neokolonialismus vor, da nicht wenige unter ihnen der US-amerikanischen Doktrin nahestehen, dass Kuba von den USA annektiert werden soll.

 

2. Befreiungstheologisch-philosophische Lektüre des Römerbriefs

Für den zweiten Schritt (Urteilen) war der Römerbrief als Studientext ausgewählt worden, und zwar anlässlich des 500-jährigen Jubiläums der Reformation. Er war der Impulsgeber für eine befreiende Lektüre. Dr. Néstor Míguez aus Argentinien, emeritierter Professor für Neues Testament am I.U. ISEDET (Instituto Superior Evangélico de Estudios Teológicos) in Buenos Aires und mein ehemaliger Kollege, war der Referent.

Míguez übertrug den Begriff „Dispositiv“ des italienischen Philosophen Giorgio Agambens als Deutungsinstrument auf den Römerbrief. Paulus setze dem Dispositiv der ,imperialen Religion‘, die dem römischen Kaiser huldigt, die alternative Gemeinschaft des Glaubens an den gekreuzigten Christus entgegen. Das Neue sei, dass in Christus „alle eins sind“ (Gal 3,28), obwohl sie keine gemeinsamen kulturellen Wurzeln, keine gemeinsame Abstammung, keinen gemeinsamen sozialen Stand oder gleiches Geschlecht haben. Gerechtigkeit, das Thema des Römerbriefs, interpretierte Míguez als eine Form der Gnade, die das Leben bewahrt. Für Kuba und Lateinamerika steckt darin eine aktuelle Botschaft: Sie identifizieren sich mit Paulus’ alternativer Glaubensgemeinschaft in Rom. Sie verkörpert ein Gegenmodell zum neoliberalen Imperium des Finanzkapitalismus und zum imperialen Christentum.

 

3. Lectura popular mit Basisgruppen

Im dritten Schritt (Handeln) geht es in den Konferenzen der RIBLA jeweils um die Situation der lateinamerikaweiten sog. lectura popular, der Bibellektüre in Basisgruppen. Sie ist in Lateinamerika nach wie vor vital, in Kuba insbesondere im Zentrum Dr. Martin Luther King (Centro Memorial Dr. Martín Luther King). Vor dreißig Jahren wurde es von dem baptistischen Pfarrer Rául Suárez in Havanna gegründet.

  

(Zentrum Martin Luther King, Havanna, Foto: H. Walz)

 

In welche Richtung weht der sozialistische Geist Kubas?

„Veränderungen, ja. Transition zum Kapitalismus, nein“, so lautet die Devise in dem 2016 erschienenen Buch Fe por Cuba (Glaube für Kuba) von Raúl Suárez. Es gibt Parallelen zwischen der christlichen Botschaft und sozialistischen Visionen sozialer Gerechtigkeit, so Dr. Ofelia Ortega, Pfarrerin der Presbyterianischen Kirche, frühere Rektorin des Theologischen Seminars in Matanzas und Leiterin des dortigen Christlichen Instituts für Genderstudien. Seit zehn Jahren hat sie einen Sitz im kubanischen Parlament.

  

(v.li. H. Walz, O. Ortega, Foto: H. Walz)

 

Wie wird sich das Modell Kuba, seine konkrete politische Zukunft weiterentwickeln? Keiner weiß das so genau. In welche Richtung der Geist des Sozialismus in Kuba weht, das wird die Zukunft zeigen.

Prof. Dr. Heike Walz, 29.8.2017

(Ein ausführlicherer Artikel wird in der Zeitschrift „Interkulturelle Theologie“ 4 (2017) abgedruckt.)


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