Internationale Akademische Konsultation „Theologie interkulturell – Die Zukunft der akademischen Theologie an kirchlichen Hochschulen“
Dozierende und Studierende der Augustana-Hochschule ergriffen in den Räumen des Centrums Mission EineWelt Neuendettelsau die Gelegenheit, mit den internationalen Gästen ins Gespräch zu kommen. Aus erster Hand erfuhren wir voneinander, welche theologischen Herausforderungen zurzeit unter den Nägeln brennen.
Theologie steht gegenwärtig im Zeichen von Mission, Diakonie und Ökumene. In Hongkong gilt Mission – im Sinne von Verkündigung und Diakonie – als die „Mutter der Theologie“, betonte Simon Chow, Neutestamentler am Lutheran Theological Seminary.
In rumänisch-orthodoxer Theologie geht „alle Diakonie vom Altar aus“, so Vasile Stanciu, Liturgiewissenschaftler an der Babeș-Bolyai-Universität Cluj-Napoca/Klausenburg. Den Geist der Ökumene zu pflegen, sei unter postsowjetischen Bedingungen besonders wichtig, auch als „kulturelle Ökumene“, „die von musikalischen und künstlerischen Aktivitäten getragen wird“. Der Chor der Augustana kommt bereits in den Genuss eines solchen Austauschs zu liturgischen Gesängen.
Die Christentumsgeschichte wird neu geschrieben. Alberto Melloni, römisch-katholischer Kirchenhistoriker an der Universität Modena und Reggio Emilia in Bologna, führte humorvoll zeitbedingte Prämissen und Engführungen der europäischen Ökumenegeschichte vor Augen.
Lateinamerika hat sich längst verabschiedet von dieser klassischen eurozentrischen Kirchengeschichtsschreibung, so Karla Koll, Historikerin und Theologin an der Lateinamerikanischen Biblischen Universität in San José in Costa Rica. Das neue Modell sei eine Religionsgeschichtsschreibung, welche die immense Diversität an alltäglichen religiösen Praktiken, Narrativen und Glaubensvorstellungen indigener und interkultureller Gemeinschaften – insbesondere von Frauen – zutage fördere.
Christlicher Nationalismus, politische Polarisierung und institutioneller Rassismus sind aktuelle Herausforderungen am Wartburg Theological Seminary in Dubuque/Iowa in den USA, so die Systematische Theologin Kristin J. Largen. In den jüngst veröffentlichten Stellungnahmen der Evangelisch-Lutherischen Kirche der USA tritt sie für eine inklusive Gemeinschaft mit der afroamerikanischen Bevölkerung und Native Americans ein.
Die Theologie muss dekolonisiert werden. Reginald W. Nel, Dekan und Missionstheologe an der Stellenbosch Universität in Südafrika, nahm uns auf eindrückliche Weise mit in gegenwärtige institutionelle Transformationsprozesse, orientiert an der Confession of Belhar von 1986. Im Widerstand gegen die bis heute wirkmächtige ,weiße‘ rassistisch-koloniale Apartheidstheologie sei Einheit nur durch Versöhnung und Gerechtigkeit möglich. „We are still grappling“ (Wir ringen noch), sagte er.
Diese Beschreibung trifft auch auf Frankreich und Deutschland zu. Gilles Vidal, Dekan der Faculté Libre de Théologie Protestante de Montpellier, Historiker der Zeitgeschichte und Missionstheologe, unterstrich den dekolonisierenden Effekt des akademischen Austauschs zwischen Frankreich, Neukaledonien und Marokko, gefördert durch die Missionsgesellschaft CEVAA (Communauté d’Églises protestantes en Mission) französischsprachiger protestantischer Kirchen in allen Kontinenten. Seiner Erfahrung nach gehören „Ideologiekritik“ an der kolonialen Geschichte der Sklaverei, „epistemologische Reflexion“ und „transformative Praxis“ zusammen.
Angesichts der deutschen Geschichte des Nazismus, Antisemitismus und Kolonialismus „muss unser theologisches Denken dekolonisiert werden“, stellte Heike Walz, Interkulturelle Theologin an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau, fest. Aktuelle Debatten über das Relief von Wilhelm Löhes (1808-1872) Mission in Fürth sind ein Beispiel. Eine „dekoloniale Hermeneutik des Schweigens und Zuhörens“ kann von indigenen Qom/Toba Kirchen in Argentinien gelernt werden und dekoloniale Religionswissenschaft ließe sich am Beispiel von Menschenrechten und Tanz einüben.
Pfingstlich-charismatische Bewegungen sind zugleich eine Herausforderung und Chance, so lautete das Thema des Abschlusspodiums. Wilhelm Wachholz, Rektor und Kirchenhistoriker an den Faculdades EST in São Leopoldo in Brasilien, lud zu einer „radikalen Selbstkritik“ ein, da der Protestantismus durch seine „rationale Botschaft“ an Boden verloren habe; gleichzeitig sei aus lutherischer Sicht die in Brasilien gegenwärtig verbreitete „Wohlstandsreligion“ kritisch zu sehen.
Roger M. Wanke, Alttestamentler an der Lutherischen Fakultät der Theologie in São Bento do Sul, unterstrich den Beitrag der Theologie für die Gesellschaft. Am Beispiel von Hiob machte er eine biblische Theologie stark, die sich Luthers Dreiklang von oratio, meditatio und tentatio zu Herzen nehme und so „vor Gott“ bleibe und „mit Gott“ spreche.
Faustin L. Mahali, Neutestamentler und stellvertretender Vizekanzler der Tumaini Universität in Makumira in Tansania, machte den vitalen Beitrag der befreienden afrikanischen Theologien seit dem 20. Jahrhundert stark. Angesichts der charismatischen Bewegungen beobachte er jedoch eine Leerstelle, nämlich „Erlösung und Heil des Menschen sowohl in körperlicher, geistiger, sozialer, ökologischer als auch spiritueller Hinsicht zu betrachten“. Für eine alltagsrelevante Theologie seien praktische Module von Anfang an mit dem universitären Theologiestudium zu verzahnen.
Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Honorarprofessor für Systematische Theologie und Theologische Gegenwartsfragen in Bamberg und Außerordentlicher Professor für Systematische Theologie und Ekklesiologie in Stellenbosch, rundete die Konsultation mit seinem Vortrag über „Doing Public Theology in the One World“ ab. Er entfaltete Wegmarken einer schöpfungstheologischen, prophetischen und ökologischen Öffentlichen Theologie im Zeichen des Klimawandels. Als neu gewählter Vorsitzender des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen ließ er Erfahrungen aus dem beeindruckenden ökumenischen Geist der Gemeinschaft auf der letzten Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe einfließen.
An diesen Tagen waren viele Sprachen zu hören, u.a. Rumänisch, Brasilianisch, Spanisch, Französisch, Swahili, Italienisch, Englisch oder Deutsch, in den Gesprächen auf dem Weg zum Kaffee, während des Ausflugs zum Nürnberger Christkindlesmarkt oder auf den Spazierwegen zu den Feierlichkeiten in der Augustana. Markus Mülke, Klassischer Philologe und Leiter des International Office, und Sung Kim, Studienleiter im Referat Bildung Weltweit in Mission EineWelt, stellten schriftliche und simultane Übersetzungen der englisch- und deutschsprachigen Vorträge zur Verfügung, eine wichtige Bereicherung für den Austausch und die Vernetzung.
Die Inspirationen aus der Konsultation haben unser Nachdenken über die zukünftige Forschung und Lehre der ,Theologie interkulturell‘ beflügelt. Wir freuen uns auf die geplante Publikation der Beiträge.
15. Dezember 2022, Prof. Dr. Heike Walz
Die internationalen Gäste auf dem Gruppenfoto: Simon Chow, Kenneth Tsang, Sung Kim, Eberhard Bons, Otfried Czaika, Gilles Vidal, Wilhelm Wachholz, Roger Wanke, Karla Koll, Heike Walz, Reginald W. Nel, Faustin Mahali, Miklós Kőszeghy, Vasile Stanciu, Krastu Banev, Stefan Iloaie, Frau Kőszeghy, Gabriele Hoerschelmann, Markus Mülke. Foto: Geraldo Grützmann
Weitere Fotos: Thomas Nagel, Reginald W. Nel, Daniel Weitz

Gruppenbild internationaler Gäste mit Landesbischof und Dozierenden

Einzug internationaler Gäste

Wolfgang Huber, Heike Walz, Reginald Nel

Moritz Fischer, Simon Chow, Christian Strecker, Heinrich und Deborah Bedford-Strohm

Deborah und Heinrich Bedford-Strohm, Tobias Friedlein, Sung Kim

Studierende; am Mikrofon Tim Jesberger

Landesbischof mit Gästen

Diskussion

Heinrich Bedford-Strohm

Reginald Nel und Heike Walz

Internationale Gäste vor dem Festgottesdienst

Markus Mülke, Heike Walz, Reginald Nel

Karla Koll und Faustin Mahali

Roger Wanke

Wilhelm Wachholz

Gilles Vidal, Lothar Vogel, Christin Langer, Gabriele Hoerschelmann

Sung Kim

Karla Koll

Heike Walz

Gabriele Hoerschelmann

Faustin Mahali