Auftaktveranstaltung „Open up“ im Schloss Herrenhausen
Dawn of the Doomed. The Religious and Political 'Zombies' of the Anthropocene
Erfolgreiche Filme an der Kinokasse geben Aufschluss über die vorherrschenden Bedürfnisse des Publikums. Das gilt auch für den Marvel-Blockbuster „Avengers: Infinity War“, der 2018 mit 640,5 Millionen Dollar alle Kassenrekorde brach, prognostisches Potenzial. Es ist ein Film, der eine große Sehnsucht nach Erlösung suggeriert. Als Thanos schließlich mit einem Fingerschnippen die Hälfte aller Lebewesen im Universum auslöscht, drückt er einen Reset-Knopf. Es entsteht ein ursprünglicher, quasi paradiesischer Zustand, in dem Leben und Umwelt im Gleichgewicht sind. Die Schöpfung wird gewissermaßen zurückgesetzt, um einer neuen, anderen Welt eine zweite Chance zu geben.
Als Markierung eines entscheidenden und schicksalhaften Moments hat das Anthropozän eine massive Wirkung. Eine „gereinigte“ Welt geistert zunehmend als säkulare Eschatologie durch die Köpfe und ist nicht immer nur ein Schreckensszenario, das es zu verhindern gilt. Im Gegenteil: Nachdem der Mensch sich in planetarischem Ausmaß versündigt hat, muss die Welt einen ökologischen, vor allem aber einen moralischen Reinigungsprozess durchlaufen, um noch Erlösung zu finden – vor allem von uns Menschen. Im Zentrum der Anthropozän-Debatte steht die Frage der Anthropodizee: Wie lässt sich die irdische Existenz des Menschen angesichts seiner ungeheuren Zerstörungskraft noch rechtfertigen?
Wir glauben, dass in den aktuellen Debatten um das Anthropozän Ideen und Konzepte am Werk sind, die auf Denkformen zurückgreifen, die tief im theologischen Denken des Abendlandes verwurzelt sind. Das reicht von der Theodizee (im Anthropozän: Anthropodizee) über religiöse Endzeit- und Erlösungsvorstellungen bis hin zu einem paradox anmutenden neuen Geozentrismus, der die Selbstermächtigung des Menschen in der modernen Welt ebenso katastrophisch wie effektvoll zu inszenieren weiß. Narrative Muster werden aktualisiert, die man eher in religiösen Texten vermuten würde: die prädiktive Erzählung einer prophezeiten Zukunft, nun nicht mehr als Offenbarung Gottes, sondern auf der Basis wissenschaftlicher Modelle, die Vergangenheits- und Gegenwartsdaten in eine apokalyptische Zukunft projizieren.
Kurzum: So säkular die Anthropozän-Debatte auch erscheinen mag, so sehr ist sie doch von religiösen Mustern, Motiven und Narrativen strukturiert, so dass man durchaus von einer „Theologie des Anthropozäns“ sprechen kann. Und die religiös gedeutete Krisenhaftigkeit des Anthropozäns transportiert den Wunsch nach einem Heilsbringer, der wie Thanos im Marvel-Blockbuster die Welt nach Schuld und Sühne mit einem Fingerschnippen erlöst.

Uwe Lindemann, Patrick Stoffel, Christoph Asmuth

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